Ausschnitte eines Inputreferat von Nicole Vrenegor, gehalten auf dem Vernetzungstreffen im Centro Sociale in Hamburg. Der zweitägige Workshop am 20. und 21. Juni 2009 wurde die Initialzündung für die Initiative „Recht auf Stadt“.
Bei dem „Recht auf Stadt“ geht es darum, dass alle Menschen, die in einer Stadt leben, das Recht haben sollen zu entscheiden, wie das städtische Leben gestaltet werden soll. Derzeit werden diese Entscheidungen nur von einigen wenigen gefällt: von der Politik, den Stadtentwicklern, den Investoren und einer kleinen Klasse von Wohlhabenden. Sie haben das Recht auf die Städte.
Der US-amerikanische Geograph David Harvey, der im Juli in Hamburg zu Besuch war, spricht daher auch davon, dass wir uns das Recht auf Stadt zurückerobern und es zu einem Recht aller Menschen machen müssen. Dazu muss man im Hinterkopf behalten, dass die neoliberale Stadt in den letzten zehn, 15 Jahren eine massive Umverteilung von Reichtum von unten nach oben mit sich gebracht hat: Deregulierung, Steuergeschenke für Unternehmen, Privatisierung und der Ausverkauf von öffentlichen Gütern, um hier nur einige Stichworte zu nennen.
Das Recht auf Stadt ist kein Recht im bürgerlichen Sinne, das man vor einem Gericht einklagen könnte. Jeder hat ein Recht auf Stadt, unabhängig von seinem sozialen Status, seiner Nationalität oder von dem, was er im Portemonnaie hat. Es ist ein Recht, das sich jede/r nehmen kann, indem er oder sie für eine soziale Stadt kämpft.
In der brasilianischen Verfassung ist sogar ein „Recht auf Stadt“ verankert, das in weiten Teilen zwar nicht umgesetzt wird, für dessen Implementierung diverse Initiativen jedoch kämpfen. Vor drei Jahren hat sich in den USA eine politische Plattform unter dem Slogan „Right to the City“ (www.righttothecity.org/) gebildet. In New York fordert die Right to the City Alliance z.B. die Umwandlung von leer stehenden Häusern in Sozialwohnungen für Obdachlose, über soziale Initiativen bis hin zu Schwulen- und Lesbenorganisationen. Unter dem Slogan „Recht auf Stadt“ lassen sich also viele verschiedene Kämpfe auch international bündeln. Das macht die Stärke des Begriffes aus, da er einen Ansatzpunkt für soziale Kämpfe bietet.
Neben „Aneignung“ ist noch ein anderer Begriff wichtig: der der Umverteilung. Ein städtisches Programm, das tatsächlich die Menschen und ihre Bedürfnisse an die erste Stelle setzt und eben nicht die Ökonomie, wird das neoliberale System nicht von sich aus hervorbringen. Schließlich geht es um die heiligste Kuh der Privatwirtschaft überhaupt: den Besitz von Boden und Immobilien. Alexander Mitscherlich hatte bereits in den 1960er Jahren die „Unwirtlichkeit unser Städte“ beklagt, und dies zum einen an den Eigentumsverhältnissen festgemacht, aber auch an der sozialen Isolation.
Je unlebendiger eine Stadt ist, umso mehr ziehen sich die Menschen in ihre privaten Räume zurück. Die Einsamkeit hinter monotonen Fassaden nimmt zu. Sich das Recht auf Stadt zu nehmen heißt also auch, raus zu gehen, die Vereinzelung aufbrechen und in Kontakt zu treten.
Die Frage, die viele beschäftigt ist: In welcher Stadt wollen wir eigentlich wohnen? Eine idealtypische Stadt könnte man sich so vorstellen: Alle Bewohnerinnen setzen sich zusammen, um zu beraten, wie ihre Stadt der Zukunft aussehen soll: Soll es Autoverkehr geben? Sollen Industrie- und Wohngebiete nebeneinander liegen? Wie viel Platz soll jede/r Einzelne bekommen? Wie grün und ruhig soll die Stadt sein?
Wenn sich immer mehr Menschen das Recht auf Stadt nehmen, verändert sich nicht nur die Stadt. Durch die gemeinsamen Diskussionen über Stadt werden sich auch die Bewohnerinnen der Stadt ändern. Diese Stadt der Zukunft wäre sicher keine konfliktfreie, jedoch eine wesentlich gerechtere und kommunikativere. Nehmen wir uns also das Recht auf Stadt. Es gibt viel für uns zu gewinnen – und ich meine das nicht im ökonomischen Sinn.
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