„Lassen wir Bürger beraten, nicht nur Politiker.“

Dies war der Aufruf einer unabhängigen Gruppe von Intellektuellen und Aktivisten. Ihr Vorschlag: der G1000, eine Versammlung von 1000 zufällig ausgewählten Bürgern, die am 11. November 2011 unbefangen über die Zukunft dieses Landes in Brüssel beraten sollen. Die Herausforderungen, mit denen Belgien sich konfrontiert sieht, scheinen zu groß, als dass sie durch Parteipolitik gelöst werde könnten. Das ist nicht weiter tragisch: Die Demokratie reduziert sich nicht auf politische Parteien. Wenn die Politiker keinen Ausweg finden, dann lasst Bürger beraten! Was dem Volk an Sachverstand fehlt, wiegt es mit Freiheit auf. Nach zwei Jahrhunderten stoßen wir an die Grenzen des Systems, das sich repräsentative Demokratie nennt. Verschiedene westliche Länder haben in den vergangenen Jahren mit „deliberative democracy“, oder „beratender Demokratie“ experimentiert. Bürger, die die Chance haben, miteinander zu sprechen, können, falls sie Zeit und Information erhalten, rationale Kompromisse schließen. Beratende Demokratie drängt die Arbeit von Parlamenten und Parteien nicht beiseite, sondern versteht sich als Ergänzung. Es könnte die Demokratie der Zukunft sein. Ist das das Gleiche wie ein Referendum? Nein. Bei einem Referendum muss jeder alleine stimmen, bei einer „deliberatif democracy“ muss man auch zuhören und sprechen. Die Debatte ist das Herz der Demokratie. Wenn Bürger konkret miteinander ins Gespräch kommen, gelingt es einfacher, Eigeninteressen an das Allgemeinwohl zu koppeln. Die Teilnehmer des G1000 erkennen das Recht des anderen Standpunktes an. Man muss nicht mit dem anderen einer Meinung sein, um ein offenes Gespräch zu führen. Das Ergebnis steht nicht von vornherein fest. Es gibt keine Präferenzen für bestimmte Vorstellungen. Der G1000 bietet lediglich ein Verfahren, um über neue Vorschläge zu sprechen. G1000 macht sich nicht einer Anti-Politik schuldig, sondern ist der Überzeugung, dass Politik zu kostbar ist, um sie den Politikern zu überlassen.“

Die Zufallsselektion der Teilnehmer sollte die Bevölkerung möglichst gut widerspiegeln, sie zielt aber vor allem auf maximale Verschiedenheit der Teilnehmer, damit man „informelle Inzucht unter Gleichgesinnten“ vermeidet. Die Zufallsauswahl wurde durch gezieltes Rekrutieren von Teilnehmern aus gesellschaftlichen Randgruppen ergänzt. Gewünscht war eine Diskussion zwischen möglichst verschiedenen Leuten zu ermöglichen, die auf jeweils andere Weise denken und wählen und die normalerweise einander nicht treffen würden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestimmten selbst, welche Themen sie behandeln wollten, die Finanzierung erfolgte durch Crowdfunding.

Es gibt einen ganzen Fächer von Verfahren deliberativer Demokratien, die in verschiedenen Situationen fruchtbringend angewandt werden können. Der Impulsvortrag stellte die Methode und den Prozess vor, der in Belgien ausprobiert wurde. Der G1000 war als Trichter oder Dreiphasen-Rakete konzipiert: zunächst erfolgte eine breite Konsultation auf Basis einer groß angelegten Onlinebefragung (Juli bis November 2011): Was sorgt den Bürger wirklich? Im Anschluss daran fand der eigentliche Bürgergipfel statt (11.11.2011). Da wurde beschlossen: Wie wollen wir miteinander umgehen? Welche Prinzipien teilen wir? Welche Prioritäten haben wir? Zum Schluss, wie in Island, begann eine kleine, per Los ermittelte Gruppe von Bürgern damit, die Beschlüsse des Bürgergipfels zu vertiefen und auszuarbeiten. Die Ergebnisse der 3. Phase wurden genau ein Jahr später, am 11.11.2012 vorgestellt. Der mit G1000 etablierte Prozess soll in Belgien auch in Zukunft weitergeführt und ausgeweitet werden.

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mehr Infos G1000.org | und hier eine Zusammenfassung